Glauben ist wie Bogenschießen im Nebel

Im Bogenschießen geht es darum, möglichst genau ins Ziel zutreffen. Oder es geht darum, ganz achtsam mit den eigenen Spannungen und Zielen umzugehen. Vielleicht geht es aber darum, den besten Bogen zu bauen oder für sich zu finden?

Das Treffen des Ziels

Soll das Bogenschießen als sportliche Disziplin erfolgreich sein, so bedarf es viel Training. Das Sportgerät, der Bogen, die Pfeile und die Entfernung zu Ziel müssen standardisiert werden damit die Bedingungen immer möglichst gleich sind. Hochleistungsmaterialien, Visiere und klare Trainingszeiten sind der Weg “erfolgreich” zu sein.

Der eigene Bewegungsablauf

Ob das Ziel getroffen wird, ist vielleicht erst einmal zweitrangig. Erstmal geht es um den eigenen Bewegungsablauf. Den richtigen Atem, das richtige Loslassen. Der eigene Körper wird ins Zentrum gestellt und der Umgang damit als Voraussetzung für ein erfolgreiches Schießen an den Anfang.

Der Bogen

Alle Bögen dieser Welt, haben eines gemeinsam: Es gibt keine zwei gleichen. Jedes Material ist anders, jedes Stück Holz einzigartig. Selbst mit hochspezialisierten Kunstfasern lassen sich keine zwei exakt gleichen Bögen herstellen. Und sobald ein Bogen fertig ist, verändert er sich weiter. Jeder Schuss, jedes Ausziehen hat Auswirkungen auf das Material. Und der Schütze/ die Schützin, der/die mit diesem Bogen schießt und der Bogen gehen aufeinander zu, bis sie im Zielen und Treffen besser werden.

Es gibt beim Bogenschießen also sehr unterschiedlicher Zugänge. Egal ob ich mit sportlichem Ehrgeiz ein Ziel verfolge oder vom Bogenbauen herkomme. Ich trete ein in eine hochkomplexe sportliche Aktivität. Und am Ende kommt es darauf an alle drei Blickwinkel in den eigenen stimmigen Zusammenhang zu bringen. Es geht um meine Vorstellungen, wie gut ich das Ziel treffen will. Ich muss mich mit meinem Bewegungsablauf wohl fühlen. Und der Bogen muss zu mir und meinen Wünschen passen. Nur dann werde ich langfristig freue an dem Sport haben. Und daraus erklärt sich am Ende auch, warum jeder Mensch anders Bogen schießt.

Wie sieht das aus, wenn Theologie getrieben wird, wenn es um den Glauben geht. Gibt es da Parallelen? Ist dann die Sprache unser Bogen, mit der wir Theologie treiben? Oder ist die Theologie der Bogen oder das Werkzeug, um den Glauben zu schaffen? Worauf zielen wir, was ist das Ziel und für wen?

Wer zielgerichtet Theologie treiben will, muss das trainieren. Das fängt zum Teil bei den alten Sprachen an, und geht über Studien und viel Arbeit. Immer wieder die eigene Auseinandersetzung mit den Quellen und mit dem eigenen Glauben lassen Menschen in ihrem eigenen Glauben sprachfähiger werden. Dadurch werden diese Menschen Spezialisten in der Theologie. Aber ebenso wenig wie Olympioniken sich noch mit Laien im sportlichen Wettstreit messen, so besteht die Gefahr, dass die Laien die theologischen Spezialisten nicht mehr verstehen. Dabei darf das Ziel nicht aus dem Blick verloren gehen. Theologie ist keine Wissenschaft, die in sich selbst ruht und deren Erkenntnisse vor allem der Theologie nützen – ähnlich der akademischen Mathematik. Theologie zielt – aus meiner Sicht- immer auf die Beziehung zwischen Menschen und Gott.

Dann gibt es den Blick nach innen auf den eigenen Glauben und die eigene Beziehung zu Gott. Auch dabei kann Wiederholung und Training hilfreich sein. Wenn ich nie gebetet habe, also das Gespräch mit Gott gesucht habe, wie will ich dann Worte finden, um mit Gott in Beziehung zu treten. Es kann hilfreich sein, mal ein Training mitzumachen – einen Glaubenskurs, eine theologische Fortbildung – um für sich selbst mehr Sicherheit zu gewinnen. Denn wir können das Ziel, auf das wir schießen nicht sehen. Ein wenig so, wie Bogenschießen im Nebel. Wir können nur an uns an unserer Haltung an unserem Tun arbeiten. Wenn wir einen Pfeil loslassen, dass fliegt er aus unserem Sichtfeld. Gott ist uns nicht verfügbar. Ob wir mit unserer Beziehung zu ihm und dem, was wir daraus ableiten ins Ziel treffen, werden wir nie wissen. Wir können es nur hoffen. Und wir müssen uns immer wieder fragen, ob das, was wir tun, das richtige ist, ohne die Antwort darauf jemals zu bekommen.

Und welche Bücher gelesen werden, welche Podcasts gehört und welche Stellen der Bibel in welcher Übersetzung wichtig sind, unterscheidet Glaubende. Einige verlassen das Haus nicht ohne ihre Bibel, andere finden sich eher in mystisch-spirituellen Zusammenhängen wieder. Eine Text, der den einen Menschen inspiriert, bleibt für einen zweiten nur ein Text. Das Material, mit dem wir uns in unserem Glauben bewegen, muss zunächst zum Glaubenden passen.

Und zuletzt sehen wir viele Menschen, die alle sehr unterschiedlich in ihrem Glauben unterwegs sind. Keine zwei Menschen haben die gleiche Beziehung zu Gott. Und doch sind wir gemeinsam unterwegs. Wir finden uns zu Gruppen zusammen, weil wir ähnliche Wege gehen. Dabei brauchen wir die Bereitschaft den Mitmenschen erstmal als eigenständig und vollwertig anzuerkennen. Weder ich noch mein Gegenüber wird das Ziel im Nebel treffen. Und egal wie viel ich übe und wie viel ich trainiere, wenn ich dabei meinen Nächsten verliere, dann schieße ich auf das falsche Ziel.

In meiner Ansicht kann das Bogenschießen vom Glauben lernen, nicht zu viele Glaubenssätze zu Dogmen zu erheben. “Wir schießen ohne Armschutz”, “Bögen darf man nicht gebraucht kaufen” oder auch “Treffen ist nicht wichtig, solange du bei dir bist” können für den einen Menschen wertvoll sein. Sie sind aber nicht allgemeingültig. Jeder Bogenschütze und jede Bogenschützin ist anders.

Und der Glauben kann vom Bogenschießen lernen, dass Wiederholung und Training in sich einen Wert haben. Sie müssen aber immer mit der Freude an der Sache verbunden sein. Wenn wir Freude an etwas haben und in dieser Sache weiterkommen wollen, dann investieren wir Zeit und Kraft gerne. Denn darum geht es am Ende aus meiner Sicht sowohl beim Bogenschießen als auch im Glauben: um die Freude jedes Einzelnen daran.