Nerd und Musik – Teil 2

Ich gestehe, ich bin so ein Klassik-Nerd. Sehr zur Verwunderung meiner Familie hat mich sehr früh die Liebe zur klassischen Musik erfasst. Während ich zuhause die Beatles, die Ärzte, die Rolling Stones und Queen zu hören bekam, wollte ich unbedingt Geige lernen. Also musste meine Familie ertragen, dass ich quietschend die ersten Töne suchte. Meine ganze Schulzeit über hatte ich Geigenunterricht; jahrzehntelang war ich Mitglied in verschiedenen Orchestern. Einige Jahre besuchte ich ein musikbetontes Gymnasium. Unsere Orchesterfahrten gingen nach Norwegen, nach China – und nach Brandenburg, Rheinsberg. Ich glaube, Menschen, die nicht mit Klassik aufwachsen, ist kaum zu erklären, was der Spaß daran sein soll, acht Stunden am Stück mit anderen Geige zu spielen. Oder wie viel Musik mit Mathematik gemeinsam hat. Aber das war unsere Welt. Selbst in den Pausen erklang immer irgendwoher Musik. Als wir älter wurden, spielten die Cellisten Apokalpyptica auf den Gängen und die Percussionisten Bob Marley auf dem Schulhof.

Trotzdem liebe ich genauso, aus vollstem Herzen, aktuelle Musik. Ich kann fast jedes Lied von den Ärzten auswendig, ich kenne viele der aktuellen Charts. Vor allem aber haben es mir Indie bzw. SingerSongwriter*innen angetan. Tegan & Sara, Florence and The Machine oder Kat Frankie sind großartige Künstlerinnen. Ein bisschen versuche ich im Gitarren- und Gesangsunterricht das gerade auch zu lernen – und tue mich ähnlich schwer wie damals mit Geige. Denn auch Popmusik ist ja nicht gerade einfach und banal.

Wenig verwunderlich ist also, dass ich den klassischen kirchlichen Werken von Bach bis Klepper genauso viel abgewinnen kann wie dem Neuen Geistlichen Liedgut, Worship oder Taizé. Meine Liebe gilt der Musik, nicht einer spezifischen Form. Ich habe fünf verschiedene Playlists bei Spotify: Eine Liste mit Songs der letzten Jahrzehnte, eine Liste mit aktuellen Popsongs, eine Liste für Indie-Songs, eine Liste für Taizé-Lieder. Und natürlich habe ich eine Liste für klassische Musik, in der sich aber mittlerweile eher die Kategorie „Pop meets Classic“ befindet. Da darf dann das „Game-of Thrones-Medley“ von 2Cellos genauso wenig fehlen wie „Paint it Black“ von der Wednesday-Serie.

Für mich die spannendste Entdeckung war, dass ich auch in Konzerten religiöse Erfahrungen machen kann. Meine ersten Konzerte habe ich besucht, da war ich noch nicht geboren. Dann waren es vor allem die Ärzte, bei denen ich kein Konzert auslassen konnte. Wenn ich manchmal erwähne, dass ich schon bei Radiohead, Placebo, Tocotronic, Apocalyptica, AnnenMayKantereit oder Alle Farben war, sind selbst musikalische Menschen davon erstaunt – ein großer Vorteil davon, in Berlin aufgewachsen zu sein.Das nächste Lollapalooza steht schon fest in meinem Kalender.

Ich erinnere mich noch besonders an das Konzert von Florence & The Machine, zu dem im Jahr 2019 rund 25.000 Fans nach Berlin kamen. Irgendwann teilte sich die Menschenmasse vor Florence Welch wie bei Mose das Meer. Sie fing an, Menschen an den Köpfen zu berühren, ihnen die Worte direkt ins Ohr zu singen – als würde sie sie segnen. Katholisch aufgewachsen findet immer wieder der christliche Glaube Eingang in ihre Popsongs, z.B. wenn es bei „Free“ vom Album „Dance Fever“ (2022) heißt: „Is this how it is? Is this how it’s always been? To exist in the face of suffering and death and somehow still keep singing. Oh like Christ up on a cross. Who died for us? Who died for what? Oh, don’t you wanna call it off? But there’s nothing else that I know how to do but to open up my arms and give it all to you.

Auch ich glaube, dass Musik Menschen näher zu Gott führen kann. Nicht nur in Kirchen, sondern in den Konzertarenen und auf den Festivalbühnen dieser Welt.

Wir haben euch übrigens eine Playlist bei Spotify zusammengestellt, hört gern mal rein:
Nerdchurch bei Spotify: The Nerdchurch

Foto: Jonah Klee. 
Der erste Teil des Textes "Nerd und Musik" von Malte Hausmann erschien vor 2 Wochen.