„Mutiger Spatz“ Teil 3
„Wie lange hast du es schon gespürt?
Deine Finger sind voller dumpfer Schmerzen, wenn du sie zu lange benutzt, deine Schulterblätter kitzeln mit dem Gefühl von Phantomgliedern, das Gefühl, dass du in einem Körper schwimmst, der zu groß ist, um ihn zu nutzen, die Verwirrung des Seins. Du bist nicht dazu bestimmt, unter Menschen zu wandeln. Vielleicht hast du es einfach abgetan und dir eingeredet, dass es jedem manchmal so geht. Vielleicht hast du dich auf der Suche nach der Antwort verrückt gemacht. Es gibt keinen einfachen Weg, an deinem Körper zu zweifeln. Es gibt keine bequeme Art, zusammenzubrechen. Du sehnst dich nach Schönheit, als würdest du ohne sie sterben. Du bist bereit zu fliegen. Du bist ein Spatz, mutig und verängstigt.“
Mit diesen Worten beginnt das Rollenspiel „Mutiger Spatz“ von Avery Alder. Ein Rollenspiel über das Zweifeln am eigenen Körper und den eigenen Gefühlen – aber genauso ein Rollenspiel um Achtsamkeit und eigener Wahrhaftigkeit.
Avery Alder kennt diese Gefühle vom Falschsein im eigenen Körper wohl besser als manch andere. Sie ist als Junge erzogen und aufgewachsen und lebt heute als Frau in Canada. Ein Lebensweg, der sicher kein leichter war. Sie entwirft Spiele, die diesem Falschsein sehr sensibel begegnen und den Spielenden Einblick in eine etwas andere Realität geben.
Vielen jungen Menschen ist dieses Gefühl nicht fremd. Gerade in der Pubertät stellt sich die Frage: „Wer bin ich – und – will ich das sein?“ Dies schließt sowohl die eigene Persönlichkeit aber auch die eigene geschlechtliche Identität mit ein. Männlich und weiblich sind dabei längst keine festen Kategorien mehr, sondern eher die Endpunkte einer langen Skala.
Unsere Kirche ist in weiten Teilen von einer männlichen Heteronormativität geprägt. Eine Familie besteht in weiten Teilen immer noch Mutter (Frau), Vater (Mann) und Kind (unmündig). Das unsere Kirchen die Ehe für alle eingeführt haben, nachdem der Staat sie gesetzlich verankerte, ist ein Armutszeugnis.
Wir gehen in der kirchlichen Jugendarbeit den Lebensweg mit vielen Menschen ein Stück mit. Alle, die zu uns kommen, sind willkommen. Und mir ist sehr wichtig zu betonen, dass Gott den Menschen liebt. Nicht das Bild des Menschen, das die Gesellschaft gerne von ihm hätte. Ob wir Mann, Frau oder etwas anderes sind, ob wir uns in einen oder mehrere Menschen verlieben, ob uns die geschlechtliche Identität beim Verlieben wichtig ist, ist für Gottes Liebe nicht relevant. Gott liebt den Menschen, sein innerstes Selbst.
Mir ist es wichtig zu betonen, dass wir einen Gott haben, der mit uns geht, mit uns in unserem Leben. Und der sich nicht auf die Seite derer stellt, die das aber komisch finden oder meinen „dass es das früher ja nicht gegeben hätte“. Egal wo wir im Leben stehen, egal wohin uns das Leben trägt, uns gilt die Zusage: Siehe, ich bin bei dir, alle Tage bis an der Welt Ende.
Und darum:
„Wichtig ist, dass du nicht aufhörst oder aufgibst. Fahre fort, zu glauben und es zu versuchen, bis du entweder deine Flügel vollendet hast oder dir klar wird, was für ein Wesen du bist. So oder so wirst du als aufmerksamer, nachdenklicher und mutiger Mensch hervorgehen.
Ich glaube an dich.“
Brave Sparrow von Avery Alder https://buriedwithoutceremony.com/brave-sparrow
Übersetzung von Malte Hausmann.