Was hängen bleibt vs. was man wissen muss.

Ich erinnere mich an eine Aussage aus einer Fernsehdoku über das Woodstock-Festival. Der Sohn des Farmers, der den Hippies seine Felder vermietet hat, berichtete, dass sein Vater ein erzkonservativer Mann war. Er konnte mit den Hippies und ihren Aussagen zur Welt und zur Politik nichts anfangen. Gleichzeitig trat er aber entschieden für die Redefreiheit und die Freiheit in den Vereinigten Staaten ein und eben diese Freiheit gewährte er auch den Hippies, selbst wenn sie ihm fremd waren. Eine bemerkenswerte Haltung.

Ich denke es ist mehr als 20 Jahre her, dass ich diese Doku sah. Das Zitat, oder vielmehr die Haltung, spiegelt sich für mich heute in meiner Haltung zu evangelischen Christ*innen wider. Ich kann nicht jede Frömmigkeitsströmung nachvollziehen, manches, sowohl in der Landeskirche als auch in den freien Gemeinden und Verbänden, ist mir fremd. Aber es ist meine feste Überzeugung, dass wir Christ*innen frei sind, unseren Weg mit Gott zu gehen. Ich muss nicht jeden Weg mitgehen, er ist gleichwohl ebenso viel wert wie mein Weg, dem auch nicht alle folgen können. Das ist für mich ein großer Reichtum der evangelischen Konfession.

Aber wie ist das nun mit Zitaten, Sinnsprüchen. Was merken wir uns und was sollen wir uns seit dem Konfirmandenunterricht merken? Ich kenne den 23.Psalm rudimentär auswendig. Was jedoch die Arbeit eine*s Hirt*in im Jahr 2021 angeht … Was Frau Sölle, Herr Moltmann, Herr Barth, ja sogar Herr oder Frau Luther gesagt haben, entzieht sich weitestgehend meinem Erinnerungsschatz. Ich pflege selten Zitate in meine Predigten oder Andachten ein – es sei denn, sie haben für mich in meinem Leben eine Bedeutung. Und dann kommen sie nicht selten nicht von studierten und promovierten Theolog*innen, sondern von Fantasy-Autor*innen und Popsong-Autor*innen.

Mir war es nie wichtig, was „man“ wissen muss. Lange Zeit war das Wissen in der Kirche ein Mittel, um den Klerus vom Pöbel zu trennen. Gottesdienst auf Lateinisch, nur Männer, die in die Schule gehen und studieren konnten, Pfarrer mit 12-jähriger Ausbildungszeit. All das kann ich nicht, es ist weit weg von meinem Leben. Ich brauche Stimmen für meinen Glauben, die mich anrühren. Und das kann ebenso gut ein Roman sein, wie ein Buch der Bibel.

Und dann stellt sich mir die Frage, warum bleibt etwas hängen und warum verbindet es sich mit meinem Glauben und meiner Art, Gott und die Welt zu sehen? Zufall? Gottes Wille?

Ich will mit einem Beispiel enden. Eines meiner liebsten Zitate stammt von Ursula K. Le Guin, der Autorin der Erdsee-Saga. Sie schreibt in etwa: Man kann keine Kerze anzünden ohne Schatten zu werfen. Eine Aussage, die ich in der Welt vielfach bestätigt sehe. Selbst in der Religion und in den christlichen Gemeinschaften finde ich es wieder. Ich widerspreche nur bei einer Kerze, die aber nicht sehr weltlich ist: Gottes Licht in mir scheint, ohne Schatten. Aber sobald ich es weitergeben will, ändert sich dieses Bild auch schon. Oder nicht?