Neulich beim LARP – mit Kindern: Von Rattenwesen und Verantwortung

Neulich beim LARP – mit Kindern: Von Rattenwesen und Verantwortung

Zelt mit weißem Banner von Samurkanth

Dieser Beitrag ist der zweite in der kleinen Reihe zum Thema „LARP mit Kindern“. Ich möchte den Fokus darauf legen, was beim LARP besonders in Verbindung mit Kindern wichtig ist. Gestartet hat die Reihe mit dem Thema Rollenwechsel.

Neulich war ich wieder beim LARP. Ich war ohne eigene Kinder als NSC dabei, aber es gab andere Familien auf dem LARP. Der Plot war ganz klassisch – es gibt die Guten (Spieler:innen) und die Bösen (NSCs). Zum Start sollten die Spieler:innen – erfahrene erwachsene Larper:innen, erwachsene Anfänger und Familien mit Kindern – ein Lager für sich beanspruchen. Eine alte Burg mitten im Wald. Der Haken: Sie war bereits bewohnt. Von Rattenwesen.

In der Vorbesprechung unter den erwachsenen NSCs fiel schon eine Frage, die im Spiel nie gestellt werden sollte, aber unausweichlich im Raum stand:
Was passiert, wenn die Spieler:innen die Ratten nicht vertreiben können – oder wollen?
Ein NSC sagte halb scherzhaft, halb nachdenklich: „Das wäre ja fast ein Genozid an den Ratten.“

Ich fragte mich: Was für eine Verantwortung legen wir da eigentlich ins Spiel?

Das Spiel begann wie geplant. Die Held:innen rückten an – bewaffnet, motiviert, mit dem Ziel: Die Burg sollte eingenommen werden. Die Rattenwesen, gespielt von uns NSC, verteidigten sie. Laut, zischend, wild. Alles lief nach Drehbuch. Es gab schöne und gute Kämpfe. Die Spieler:innen und die NSCs hatten ihren Spaß. Schöne Kampfszenen, gut ausgespielte Treffer. Die Krieger:innen standen in den ersten Reihen und dann kam der Tross. Das Burgtor wurde erobert und die Spieler:innen stand bereits im Hof.

Doch dann geschah etwas Unerwartetes. Aber nicht etwas Unerwartetes was den großen Knall im Plot auslöst. Nein, es war das kleine, leise Unerwartete. Zwei Kinder stellen leise die Fragen:

„Warum wohnen die Rattenwesen da eigentlich?“
„Haben die kein anderes Zuhause?“

Ihre Stimmen wurden übertönt vom Spieltrieb der Gruppe. Vielleicht wollte auch Keiner die Frage hören. Was die Eltern auf die Frage geantwortet haben, habe ich nicht mehr mitbekommen. Die Eroberung wurde abgeschlossen und die Spieler:innen konnten die Burg beziehen. Die Burg war auch OT der Schlafplatz der Spieler:innen und der erste Abend in der Tarverne konnte kommen.

Am nächsten Tag kamen immer wieder Rattenwesen, um ihr Zuhause zu retten. Einige Kinder auf der Seite der Spieler:innen machen sich Gedanken, was mit den Rattenwesen wird.

„Wo sollen die Rattenwesen wohnen, wenn wir die Ratten aus ihrer Heimat verdrängen?

Warum machen wir das?“

In der zu eroberten Festung lagern Sie auch ihre Nahrung. Die Rattenwesen werden dadurch obdach- als auch futterlos.

„Wenn wir die Rattenwesen vertreiben, was essen die dann?“

Während am nächsten Tag die Spieler:innen Dinge tun, die Spieler:innen auf dem Larp tun müssen – Rituale beschwören und andere verhindern, kämpfen und Rätsel lösen – schlichen einzelne Kinder zur Küche. Dort holten sie Brötchen, Obst und – ganz wichtig – Käse. Während nun die anderen Spieler:innen damit beschäftigt waren auf Schlachtfeldern gewichtige Dinge zu tun, fütterten die Kinder die übrig gebliebenen Rattenwesen mit Käse und versuchten eine Beziehungen zu ihnen aufzubauen. – Hier ein Dank an die NSCs, die sich nicht in die Schlacht geworfen haben und sich lieber von den Kinder haben füttern lassen. –
Ein Kind sagte, in Rolle:

„Die Ratten haben vielleicht Angst. So wie wir manchmal.“

An sich muss man sagen, dass der Plot da weniger flexibel war. Die Ratten „respawnten“ am nächsten Tag – wie es vorgesehen war – als wiederkehrende Gegner. Und doch: Die Kinder veränderten das Spiel. Sie wollten nicht mehr einfach nur siegen. Sie wollten verstehen. Helfen. Verhandeln.

Am letzten Abend bekamen genau diese Kinder von uns ein besonderes Abzeichen und ihre Taten im Sinne „Freundlich wie ein Samukanther“ zu sein „im Einsatz für alle Wesen und Wesenheiten.“

Was da geschah, war mehr als niedlich oder moralisch „korrekt“. Es war theologisch.
Kinder zeigten intuitiv, was in unserer Welt oft verloren geht:
Mitgefühl über Parteigrenzen hinweg. Gerechtigkeitsgefühl ohne Ideologie. Der Wunsch, Konflikte nicht einfach zu gewinnen, sondern zu lösen.

In der Bibel gibt es ein Wort dafür: Schalom – mehr als Frieden. Ein Zustand, in dem jede:r seinen Platz hat.
Und ich frage mich: Warum gelingt das manchmal eher im Rollenspiel als im echten Leben? Haben wir verlernt, auf unsere Kinder zu hören? Häufig sind Kinder auch eine Stimme der Vernunft und des Herzens.

Ich zögere, diesen Bogen zu spannen. Und doch drängt er sich auf.
Wenn ich an die Fragen der Kinder denke – „Wo sollen die wohnen?“ „Warum vertreiben wir sie?“ –
dann höre ich Echos der echten Welt.
Die Diskussion um den Krieg in der Ukraine. Den Schmerz und die Ohnmacht in Israel und Palästina. Menschen, die fliehen. Und andere, die verteidigen.
Narrative, die sich verfestigen: Wir gegen die. Gut gegen Böse. Unser Zuhause, ihre Schuld.

Und mittendrin: Kinder, die fragen, ob es auch anders geht. Ob man teilen kann. Ob man zuhören darf. Ob ein „Feind“ vielleicht einfach nur Angst hat.

Ich weiß: Die reale Welt ist komplizierter als ein LARP-Plot. Manchmal scheint es ganz einfach, wer die Guten und wer die Bösen sind. Aber ich frage mich trotzdem, ob wir nicht mehr zuhören müssten – den leisen Stimmen, die sich fragen, ob wir immer die Guten sind oder nicht auch wir zum Krieg beitragen – etwa, indem wir weiterhin Gas und Öl aus Russland beziehen.

Ich bin jedes Mal beeindruckt, wenn ich wie immer sehe, wie viel besser Kinder verstehen – nicht im Kopf, sondern im Herzen. Sie wissen, dass Monster nicht immer böse sind. Dass Heimat etwas Heiliges ist.

Und wenn ich dann sehe, wie ein Kind mit einem Brötchen in der Hand auf eine fauchende Ratte zugeht, mit zitternder Stimme sagt:

„Ich will dir nichts tun – du darfst bleiben.“

Dann denke ich: Vielleicht beginnt Frieden genau da. Im Spiel. In einer Burg. Zwischen Luhenburgern und Rattenwesen. Und in Herzen, die fragen, bevor sie zuschlagen.

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