Neulich beim LARP – mit Kindern: Rollenwechsel

Neulich beim LARP – mit Kindern: Rollenwechsel

Bild von einem LARP-Lager


Mit diesem Beitrag möchte ich eine kleine Reihe zum Thema „LARP mit Kindern“ beginnen. Ich möchte den Fokus darauf legen, was beim LARP besonders in Verbindung mit Kindern wichtig ist. Starten möchte ich mit dem Thema Rollenwechsel.

LARP mit der Familie – das bedeutet: Taschen voller Gewandung, Aufregung im Auto, und dann plötzlich: eine andere Welt. Wir sind mittendrin in einer lebendigen Fantasie. Viele Spieler:innen sind da, und jede Person in ihrer eigenen Rolle. Auf den ersten Blick sehe ich Menschen, Elfen, Hobbits, Tierwesen wie Wolpertinger oder Satyrn – und einen Ork mit gewaltiger Maske. Die Szene ist bunt, lebendig, freundlich. Trotz des Trubels herrscht ein Miteinander, das trägt.

Alle versuchen gemeinsam, den Plot zu lösen. Dabei hat jede:r ihre oder seine Aufgabe: die mutige Kriegerin an vorderster Front, Bogenschütz:innen in der zweiten Reihe, Zauberwirker:innen, Alchemist:innen, Heiler:innen, Geschichtenerzähler:innen, Bard:innen – sogar eine Tanzmeisterin ist dabei. Jede Figur bringt etwas anderes ein, jede Rolle zählt. Niemand ist überflüssig. Und genau das macht diese Spielwelt so besonders: Man sucht sich aus, was gerade passt. Was ich ausprobieren will. Was mich reizt. Und am Ende wird der Plot gemeinsam gelöst – weil jede:r gebraucht wird.

LARP lebt davon, dass sich Erwachsene und Kinder ihre Rolle suchen und ein paar Tage etwas oder jemand anderes sind. Sie probieren sich aus, sie wachsen hinein. Anfangs zögern manche, nicht nur Kinder: Darf ich das? Kann ich das? Kann ich kämpfen, zaubern, heilen, eine Gruppe führen?

Und ja – auch Angst spielt eine Rolle. Nicht jede:r fühlt sich sofort wohl in der Rolle. Gerade Kinder brauchen manchmal einen Moment, um zu verstehen: Ich spiele das nur – und ich darf das. Außerdem können die Rollen der Anderen auch erschreckend sein. Hier hilft ein einfacher Moment enorm: Der Ork nimmt kurz seine Maske ab – und hinter dem gefährlichen Gesicht sieht man ein warmes, menschliches Lächeln. Ein Lächeln, das sagt: Du bist sicher. Wir spielen nur. Wir sind alle freundliche Menschen.

In der Vielfalt der Rollen spiegelt sich etwas Grundsätzliches wider: Niemand ist allein. Wir sind als Menschen zur Gemeinschaft geschaffen. In der Bibel heißt es, dass jedes Glied am Leib Christi seine eigene Aufgabe hat – genau wie im Spiel jede Rolle ihre Bedeutung hat. Die Kriegerin ist nicht wichtiger als der Geschichtenerzähler, die Heilerin nicht mächtiger als der Tänzer. Alles ergänzt sich.

Berufung – im religiösen Sinn – meint nicht immer einen großen Lebensweg. Sie kann sich auch zeigen in kleinen Entscheidungen: Wem helfe ich? Wofür setze ich mich ein? Was traue ich mir zu? Im LARP erleben Kinder (und Erwachsene) ganz konkret, was es heißt, jemand anders zu sein. Aber auch: Wie kann ich scheitern, ohne Angst vor Konsequenzen? Ich lerne diese Rollen bei mir und anderen kennen. Das tut uns Erwachsenen, aber auch den Kindern gut.

Ein weiterer Blick

Wie bereits gesagt: Jede:r kann unterschiedliche Rollen ausprobieren. Manche schlüpfen begeistert in neue Rollen – und manchmal auch in andere Identitäten. Auf einer Con kann ich nicht nur zur Elf, Hobbit oder Ork werden. Ich kann nicht nur Magier:in oder Krieger:in sein. Ich kann andere Kleidung wählen als „üblich“. Jeder kann auch ein anderes Geschlecht spielen. Und es ist schön, wie selbstverständlich das geschieht. Niemand schaut komisch. Der Schutzraum des Spiels erlaubt das Ausprobieren – frei von Bewertung. Alles ist möglich – weil das Spiel die Welt öffnet. Der Schutzraum des Spiels erlaubt es sich so zu geben wie man ist oder wie man sein möchte. Die eigene Geschlechtsidentität kann frei gelebt werden.

Und dann denke ich an die Diskussionen – nein, es sind häufig nur Hassreden, keine Diskussionen – im Netz, die behaupten, dass Intersexualität, das trans sein, dass alles außerhalb des Heteronormativen schlecht für Kinder sei. Der Schutz der Kinder wird vorgeschoben vor eine Verachtung von Menschen. Wenn Dragqueens in Schulen und Kindergärten Bücherlesungen veranstalten gibt es Proteste mit dem Argument des Kinderschutzes. Das würde die Kinder beeinflussen und sie werden dadurch queer. Ich kann als hetero cis-Mann sagen, dass LARP und der Kontakt zu andern Menschen Kinder beeinflusst – zum Positiven. Ich bleibe nach dem LARP in dem ich eine Ork-Frau gespielt habe, cis und hetero noch werde ich zum Ork. Genauso möchte mein Kind nach dem LARP nicht zur Elfe oder zum Ork werden, aber vielleicht macht es die positive Erfahrung, im eigenen Geschlecht angenommen zu sein, auch wenn der Geburtsname noch anders lautet. Ich kann die Welt transidenter Menschen nicht am eigenen Leib nachvollziehen, aber ich wünsche mir, dass Kinder Vorbilder haben und sich selbst im geschützten Rahmen ausprobieren dürfen.

Was Kinder lernen, ist Sicherheit und Empathie. Sie erfahren: Es gibt viele Arten, man selbst zu sein. Und viele Arten, das zu respektieren. Wenn mein Kind einen Menschen erlebt, der nicht in ein Raster passt, lernt es vor allem eines: Es ist normal, verschieden zu sein. Es ist gut, anders zu sein. Und es ist wichtig, respektvoll mit dieser Vielfalt umzugehen. Und es lernt selber Sicherheit zu haben. Falls sich mein Kind, ein Mensch selber nicht heteronormativ fühlt, dann kann es erleben, dass es normal ist und ein Teil des Ganzen ist. Das möchte ich, dass meine Kinder lernen, dass sie so wie auch immer sie sind geliebt werden. Deshalb brauchen wir auch zum Schutz unserer Kinder vielfältige sichere Räume.

Die Bibel erzählt vom Menschen als Ebenbild G*ttes – vielfältig, lebendig, beziehungsfähig. G*tt schuf den Menschen „als Mann UND Frau“ – und in dieser Formulierung steckt nicht eine binäre Einordnung. Die Bibel wurde in einer noch patriarchaleren Zeit als jetzt geschrieben. Sie betont bewusst, dass der Mensch mehr ist als nur ein Mann.  Der Mensch ist als „Mann UND Frau“ ein Mensch. Der Mensch ist Mensch, egal wie er ist. Es geht um Ergänzung und Vielfalt.

LARP spiegelt auf seine Weise diese Vielfalt wider: Es schafft Räume, in denen Identität fluide gelebt werden kann – nicht im Sinne von Beliebigkeit, sondern als Ausdruck von innerer Wahrheit. Der Schutzraum des Spiels ermöglicht, was in der „wirklichen“ Welt oft fehlt: angstfreie Begegnung. Vielleicht ist genau das eine geistliche Erfahrung – eine, die zeigt, wie Gottes Schöpfung gedacht ist: offen, bunt, verbunden.

Was wir auf dem LARP erleben, ist mehr als ein Spiel. Es ist ein Experimentierfeld für Menschlichkeit. Kinder (und Erwachsene) entdecken: Ich kann anders sein – und bin trotzdem ich. Du kannst anders sein – und du bist trotzdem du. Ich darf mich ausprobieren – und werde angenommen. Du darfst dich ausprobieren – und wirst angenommen. Vielleicht ist das auch eine Einladung an uns alle: mehr Spielräume zu schaffen. Räume, in denen wir uns nicht nur verkleiden, sondern zeigen können, wer wir wirklich sind.

Ich möchte, dass Kirche, Schule und der Alltag öfter ein solcher Schutzraum sind. Und wir alle müssen diese Räume ausbauen und verteidigen. Wir müssen bei Ausgrenzung hinschauen und unsere Stimme erheben. Stolz sein, dass wir diese Vielfalt haben.

Der Juni ist traditionell der Pride-Monat ( #pridemonth ) – eine Zeit, in der queere Menschen weltweit für Sichtbarkeit, Gleichberechtigung und Selbstbestimmung eintreten. Es geht um Anerkennung, um das Recht, man selbst zu sein, und um die Freiheit, in Vielfalt zu leben. Es ist auch eine Erinnerung daran, dass wir uns den öffentlichen Raum nicht nehmen lassen – nicht von jenen, die ausgrenzen und unterdrücken wollen. Wir nehmen uns Symbole zurück. Unsere Hashtags. Wir sind laut. Bunt. Stolz auf die Vielfalt – und niemals still. Feiert mit uns den #Stolzmonat: Für Liebe statt Hass. Für Menschlichkeit statt Ausgrenzung.


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