Ein paar kritische LARP-Gedanken

Ein paar kritische LARP-Gedanken

Jede Münzen, und sei sie noch so trickreich ergaunert, hat zwei Seiten. Ein Blick auf das LARP-Hobby, der ein paar Fragen aufwirft und sich auf die Spur von „Roll Inclusive“ begibt.

Die Krieger ziehen raumgreifend in die Taverne ein. In Plattenrüstung nehmen sie ohnehin viel Platz ein, zu dritt beanspruchen sie die ganze Bank. Die Schankmaid bekommt einen sexistischen Spruch gereicht, kichert verlegen und bringt das „gewünschte“ Getränk.

Und ich frage mich die ganze Zeit: Geht das klar? Ist es richtig, wenn wir intime (in-time: in der (gespielten) Zeit) mittelalterliche Klischees von Männlichkeit und Weiblichkeit „nachspielen“? Und je länger ich nachdenke, um so mehr fällt mir auf, dass mich vieles stört: Gewalt als absolut legitime Lösung (fast) aller Konflikte; Orks als „böse“ „Rasse“; Die Einteilung fast jedes Charakters in „gut“ oder „schlecht“; Praktizierte Selbstjustiz gerne durch eine Gottheit legitimiert und das Hochhalten eines männlich kämpferischen Idealbildes.

Wer sich wie ich mit diesem Unwohlsein nicht alleine fühlen will, dem empfehle ich das Buch „Roll Inclusive“, das es beim Uhrwerkverlag digital zu kaufen gibt (Link unten). Hier haben unterschiedliche Autoren in Essays, eben diese Grauzonen ausgeleuchtet. Ohne vereinfachende Antworten wie: „Egoshooter machen aggressiv.“ Ein Teil des Buches könnt ihr auf der Website der Vögte als Hörbuch hören. (Link unten) (Unbezahlte Werbung Ende.)

Einige Gedanken, die mich daraus zum Nachdenken angeregt haben:

  1. Unser Gehirn ist ein kompliziertes Organ. Wir können im Spiel Dinge ausprobieren (zB selbstbewusst sein, in die Performance eines anderes Geschlechts schlüpfen) und die Neuronen unseres Gehirns, werden in dieser Hinsicht gestärkt, weil sie trainiert werden. Das gleiche geht aber auch in andere Richtung: Verhalte ich mich jedes Wochenende wie ein sexistischer Krieger, dann hat dies Einfluss auf mein Gehirn. Und außerhalb des Spiels nutzen wir das gleiche Gehirn.
  2. Die Spieledesignerin Avery Alder weist in ihrem Essay darauf hin, wie tiefgreifend „-ismen“ in unseren Spielsystemen eingegraben sind. Es sei zB absolut legitim aufgrund von persönlicher Stärke Erfolg zu haben. (Die Kriegerin, die den Drachen besiegt, gewinnt den Schatz). Und damit wird ein kapitalistisches Grundmuster, das u.a. durch Adam Smith recht populär wurde, tief in das Spiel eingeschrieben: Wenn jeder maximal für sich selbst sorgt, ist allen maximal geholfen. Dieses Grundprinzip stimmt aber für alle Menschen, die im „echten Leben“ keine solche Stärke mitbringen, nicht. Queere Menschen und Menschen mit Behinderungen sind also sowohl in der echten Gesellschaft benachteiligt, aber dann auch im Spiel.

Zurück zu meinen Grübeleien: Wie kann eine LARP-Taverne aussehen, in der sich alle Menschen wohl fühlen können? Reicht ein Schild: „Keine Waffen, keine Rüstung, keine Magie!“ aus, oder braucht es zu Beginn des Spiels eine OT Ansage? Wie sähe ein LARP aus, bei dem Gewalt/ Kampf nicht das zentrales Element der Handlung wäre? Überfälle niederschlagen, alle Entführer der Prinzessin töten und die alles entscheidende Endschlacht sind keine konstitutiven Merkmale des LARPs. Und wie viele Spieler*innengruppen ich kenne, die keine*n Krieger*in, Kämpfer*in o.ä. dabeihaben?

Es gibt Tavernenspiele, Ambiente Cons und weitere Veranstaltungen, die i.d.R. ohne Gewalt auskommen. Nun frage ich mich, geht das auch für Abenteuer Cons? Können wir ein Fantasy/ Mittelalter Setting schaffen, in dem wir keine Menschen (oder andere Rassen) diskriminieren, abwerten und/oder ihre Grenzen verletzen? Kann ein LARP ein Safer Space sein? Und wenn ja, was muss ich dafür tun?

Ich gestehe, ich habe mehr Fragen als Antworten. Aber für mich sind die Fragen es wert, darüber nachzudenken.

Ein Nachsatz: Spielt! Habt Freude an Euerm Spiel. Ich kenne es so gut, eine Wochenende lang mal aus der Haut fahren und den Alltag hinter mir lassen. Mich in der Taverne verstecken, zu viel Met trinken, zu schief die Lieder mitsingen. Ja, ich kenne diese Faszination. Und ich will niemandem sein Hobby madig machen. Aber jede Münzen, und sei sie noch so trickreich gediebt, hat zwei Seiten. Und wenn LARP im pädagogischen Kontext eingesetzt werden soll oder ich selbst den Anspruch habe, alle Menschen mitzunehmen, dann reichen die üblichen LARPkonzepte zuweilen nicht mehr aus.


Nächste Woche gibt es einen weiteren Text zu dem Thema Rassimus und Seximus beim LARP.


Roll Inclusive – digital:

https://shop.uhrwerk-verlag.de/sonstiges/romane/1492/roll-inclusive-diversity-und-repraesentation-im-rollenspiel-pdf

Hörbuch:

Avery Alder:

Das Rollenspiel „Mutiger Spatz“ von Avery Alder findet ihr hier im Blog auf Deutsch im Downloadbereich – mit freundlicher Genehmigung der Autorin!

https://the-nerdchurch.de/wp-content/uploads/2021/12/mutiger-Spatz-deutsch.pdf

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