Jahreslosung: Möge die Macht mit dir sein, Hagar

„Du bist Gott*, du siehst mich“ – So sagt die entflohene Sklavin Hagar in der Wüste. Wem die Geschichte nicht geläufig ist, dem empfehle ich den Podcast „Unter Pfarrerstöchtern“, konkret die Episode „Krieg der Frauen“ aus März 2020.

„Du bist Gott*, du siehst mich“

ist die Jahreslosung 2023.

Möge die Macht mit dir sein!

„Du bist Gott*, du siehst mich“ sagt die absolut machtlose Hagar. Eine Frau, die im patriarchalen System zudem als Sklavin keine Rechte hatte. Und doch gibt Gott* ihr die Zusage: Aus deinem Nachkommen sollen viele werden. Und Hagar erkennt Gott* als sie sehend an.

Die Schrottsammlerin Rey lebt ein ebenso tristes und rechtsfreies Leben. Ihr erscheinen (noch) keine Machtgeister auf Jakku. Und doch wird sie in der Geschichte um den „Krieg der Sterne“ eine wesentliche Rolle einnehmen. Ihr wird, da sie ihre Gabe erkennt und annimmt, deutlich mehr Macht gewährt, als die Stellung als Schrottsammlerin vorherbestimmt.

Später wird ihr ein Machtgeist erscheinen, der durchaus Ähnlichkeiten mit dem Engel Gottes bei Hagar hat – nicht nur in der optischen Darstellung. Immer dann, wenn die Not am größten ist erscheinen die Machtgeister.

Aber ein Unterschied ist da: Hagar ist keine Jedi. Sie besitzt keine Gabe, keine Macht und ist nichts Besonderes. Sie ist in die Wüste gegangen, um aus ihrem Elend zu flüchten, an den ihr einzig möglichen Ort des Friedens: den Tod. Und in dieser Situation tritt Gottes Engel hinzu, spricht ihr Mut und die Zusage Gottes zu.

Die Erkenntnis Hagars, dass Gott* uns in all unserem Leid sieht, steht über diesem Jahr. Ob wir uns an Gott* wenden oder nicht, Gott* begleitet uns. Darin dürfen wir Hoffnung finden. Die Hoffnung, die in diesem Text verborgen liegt: „Du bist nicht allein, du bist geliebt und begleitet von Gott*.“

Die dunkle Seite der Macht!

In Kürze: Hagar ist eine ägyptische Sklavin, weit weg von der Heimat. Eine Sklavin von Sarah, der Frau Abrahams. Sie soll das Kind des Abraham austragen. Ich würde es als zielgerichtete Vergewaltigung beschreiben. Nachdem dies geschah, terrorisiert Sarah die schwangere Hagar so lange, bis diese in die Wüste flieht – also in den (eigentlich sicheren) Tod.

Und dann kommt Gott* um die Ecke und naja, rettet sie? Die Frage, die sich mir aufzwingt: braucht „das Gute“ „das Böse“ um „gut“ sein zu können? Hat Gott* also die Dunkelheit geschaffen, um strahlen zu können? Wie sonst kommen wir ins dunkle Tal, wenn uns der gute Hirte dort nicht selbst hineinführt?

Brauchen die Jedi also die Sith als Gegenspieler, um selbst einen Grund zur Existenz zu haben? Und würden sie ohne diese auch verschwinden? Die „guten“ Elben verlassen Mittelerde, nachdem Sauron besiegt wurde. Das Böse ist weg, was bleibt dem Guten auch anderes übrig. Und das Motiv „Du siehst mich“ hatte schon 1984 bei George Orwell eine doppelte Botschaft, und der bedrohliche Unterton bleibt.

Warum sah Gott* Hagar nicht, solange sie eine Sklavin war? Warum sah Gott* Hagar nicht, als sie unter Sarah litt? Warum sah Gott* Hagar nicht, als Sarah und Abraham sie dazu zwangen, durch Abraham vergewaltigt zu werden? Muss sie erst versklavt, gedemütigt und vergewaltigt werden, damit Gott* seine Größe beweisen kann? Warum greift Gott* erst ein, als der ungeborene Sohn Abrahams in Gefahr ist? Und was tut Gott*, wie rettet Gott*? Gott* schickt Hagar zurück zu Sarah und Abraham, der Frau, die sie in den Selbstmord trieb, und dem Vergewaltiger…

Das Bild Gottes, das uns hier in den ersten Schriften der Bibel begegnet, ist nicht einfach. Wie die Menschen Gott* erfahren haben und wie sie Gott* in den Texten beschreiben, ist sperrig und nicht einfach zugänglich. Die Gotteserfahrung ist Teil einer Zeit und einer Gesellschaft, die im 21 Jahrhundert fremd geworden ist. Die Autoren waren Männer einer Oberschicht in einer männlich dominierten Gesellschaft. Sie haben die Hoffnung, die sie in ihrem Gott* fanden, in diese Texte geschrieben. Und es ist derselbe Gott*, der/die uns in Jesus begegnet.

Der Weg zur Macht und zu Gott* ist nicht immer ein leichter.

„Du bist Gott*, du siehst mich“ ist eine beunruhigend beruhigende Vorstellung.

Vielleicht wird in der dunklen Seite auch die Ohnmacht Gottes deutlich. Eine Ohnmacht die vielleicht viele von uns auch teilen.

Uns erinnert es an die Menschen in Lützerath, an der Front in der Ukraine oder im Iran.
Wir sehen Sie, aber wir sind nicht vor Ort. Dennoch kann es helfen, dass
eine Sache deutlich ist, die sich die müden und regennassen Aktivisti in den Baumhäusern und Erdlöchern in Lützerath immer wieder zugerufen haben und die auch für die Menschen im Krieg und im Iran gilt: „Du bist nicht allein, du bist nicht allein!“

„Ihr seid nicht allein.“

Dieser Beitrag ist eine Gemeinschaftsproduktion der Nerdchurch. Konkret von Malte Hausmann, Markus Hippert und Jonah Klee.