Gott und Fiktion
Was wäre mein Leben ohne Science-Fiction? Oder weniger speziell: Was wäre mein Leben ohne fiktive Geschichten, ohne Fantasie? Und was wäre es ohne die Autoren und Autorinnen, die dies zu Papier bringen, und ohne die Regisseure und Regisseurinnen, die es auf die Leinwand bringen? Schwer zu beantworten, aber ich kann sagen, was es mit all dem ist. Es ist das Entdecken und das Eintauchen in völlig neue Welten, die mir zunächst noch unbekannt sind. Mal scheinen Dinge fremd und exotisch und mal findet man etwas Vertrautes in den Welten. Dieses Entdecken, dieses Forschen, das darüber Austauschen und das Mutmaßen und manchmal auch einfach das bloße Begeisternlassen von der Kreativität der Autoren und Autorinnen; das macht für mich die Kraft der Fiktion aus.
Bei all der Begeisterung für das Thema kann ich jedoch nicht sagen, wer meine Lieblings-Science-Fiction-Figur ist. Ist es R2D2? Ist es Paul Atreides? Ist es (um auch Phantasie-Geschichten miteinzubeziehen) vielleicht Ned Stark oder Gandalf? Oder ist es doch Darth Vader? Im Gegensatz zu mir hat sich in dieser Frage jemand Prominentes klar festgelegt. Homer Simpson stellt in der 14. Folge der neunten Staffel folgendes klar: „[Gott] ist meine absolute Lieblings-Science-Fiction-Figur“. Aber diese Aussage wirkt sehr befremdlich. Gott und Science-Fiction in einen Topf werfen; kann das sein? Natürlich sprechen hier eigentlich die Autoren. Diese Serie ist für ihre gesellschaftskritische Ausrichtung bekannt und will vielleicht bewusst provozieren. Aber doch wirft sie eine, wie ich finde, interessante Frage auf:
Die Grundfrage, die ich mir stelle, ist dabei: Was macht Fiktion aus? Und was macht Gott aus? Und wo könnte das zusammenpassen.
Also beginne ich bei Fiktion. Die schöpferische Kraft, Dinge existieren zu lassen, die es gar nicht gibt. Das klingt widersprüchlich und ist es wahrscheinlich auch. Zumindest können wir sagen, dass wir fiktive Figuren oder Ereignisse in unserer Natur oder in unserer Wirklichkeit nicht beobachten können. Trotzdem sprechen wir über sie, als wären sie da. Wir können uns ein Bild von ihnen machen und durch immer modernere Technik nicht nur vor unserem geistigen Auge. Aber die kreativen Autoren, die uns unsere Lieblingsbücher oder -filme geschenkt haben, mussten diese Ideen erst erschaffen. Aus dem Nichts. Was aber waren ihre Vorlagen, was war ihre Inspiration?
Die Antwort darauf kann nur die Realität selbst sein. So unnatürliche Geschichten, Figuren oder Raumschiffe die Fiktion auch geschaffen hat, sie hat die Natur und unsere Wirklichkeit zum Vorbild. Alles entspringt aus dem, was wir irgendwann mal mit unseren Sinnen wahrgenommen haben. Natürlich meist in einer schrägen Kombination, oder vergrößert, verkleinert auf den Kopf gestellt. Aber die Bausteine sind das, was wir bereits kennen. Ein Beispiel: Ich sehe einen Menschen, einen fliegenden Vogel und ich stehe vor einem riesigen Berg. Aus all diesen Tatsachen kann ich problemlos einen fliegenden, riesigen Menschen denken. Denken ja, mir sind die einzelnen Bausteine bekannt, aber erleben werde ich es nie. Man kann es auf fast alles Mögliche, was wir in den entlegensten Galaxien auf der Leinwand erleben anwenden.
Aber wie passt da jetzt Gott rein?
Mit Gott scheint es auf den ersten Blick ähnlich zu sein. Auch ihn können wir mit unseren Sinnen nicht wahrnehmen. Und doch sprechen wir über ihn; er ist uns ein Begriff. Wir haben auch Vorstellungen von ihm. Wir stellen ihn uns als Vater vor, vielleicht auch als Mutter. Wir verorten ihn im Himmel. Wir bedienen uns für die Vorstellung, auch wenn es manchmal eher symbolisch gemeint ist, wieder den uns bekannten Dingen und Phänomenen. Aber Gott alleine darauf zu reduzieren, reicht nicht. Denn die Frage, warum wir Gott denken können, ist noch viel interessanter. Denn was haben wir in unserer Natur je sinnlich wahrgenommen, was uns darauf schließen lässt, es gäbe etwas übersinnliches. Welche Kombination aus natürlichen Erfahrungen soll uns so etwas wie Transzendenz denken lassen. Es müsste dem Menschen mit seinen sechs Sinnen, mit denen er die Natur und seine Umgebung erkundet, unmöglich sein, allein aus diesen Bausteinen etwas denken zu können, was übernatürlich ist.
Wenn ich auf einen Baum zeige und unmittelbar schlägt der Blitz ein oder wenn jemand nur knapp einem schweren Unfall entkommt, dann müssten wir dies entweder dem Zufall zusprechen oder mir die Fähigkeit zusprechen Blitze zu entfachen. Keine Erfahrung, die wir je gemacht haben, sagt uns, dass es ein Werk Gottes sein müsste oder dass ich zaubern kann oder übernatürliche Kräfte habe. Das haben wir doch nie wirklich erlebt. Und doch sagen wir es. Und doch reden wir über Transzendenz, über Übersinnliches und Übernatürliches. Als hätten wir einen Zugang zu den Dingen, die sich unserer Natur, unserer gnadenlos durchforschten und erklärten Realität entziehen, in der wir feststecken. Und das ist doch erstaunlich.
Und so sehr ich Science-Fiction oder allgemein Geschichten, die aus Fiktion entstanden sind, liebe, so liebe ich auch die Überzeugung, dass es etwas gibt, dass nicht durch unsere Kreativität oder unser Kalkül geschaffen ist. Was weder Gedankenkonstrukt noch Wunschdenken ist, weil es größer, tiefgreifender und ursprünglicher als all das ist. Wir müssen nicht schlussfolgern, nicht nachforschen, nicht berechnen, nicht beobachten und nicht ableiten. Was Gott und unser Verständnis von ihm ausmacht, liegt bereits intuitiv in uns. Etwas was unerklärbar, eigentlich sogar unvorstellbar ist und trotzdem eine Spur in uns hat.
Dieser Gastbeitrag stammt von Leander Schöffel.
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