Prophezeiungen

Eines meiner liebsten Vergnügen beim Konzipieren eines LARP-Plots ist das Erfinden absurder Prophezeiungen. Eine ordentliche Prophezeiung ist vage genug, nicht sofort verstanden zu werden, aber doch so konkret, dass sie zum Beispiel eine Bedrohung erkennen lässt oder etwas Begehrenswertes in Aussicht stellt. Eine gute Prophezeiung beschäftigt die Spieler eine Weile. Nach Möglichkeit besteht sie aus mehreren Teilen, die sie erst zusammenpuzzlen müssen. Und wenn es uns besonders gut gelingt, dann ändert sich mit jedem neu gefundenen Teil die Bedeutung komplett.

Spruchrollen oder Bücher werden gebastelt, vielleicht das Ganze noch in geheimer Schrift. Oder einzelnen Spielern werden kleine Zettelchen zugesteckt, auf denen sie instruiert werden, dass sie eine Vision erhalten und diese möglichst dramatisch vor Anderen ausspielen sollten. Danach ist es eine Freude für die Spielleitung, als NSC zwischen den Teilnehmenden zu sitzen und zuzuhören, wie sie zu deuten versuchen, was sie da geweissagt bekommen haben.

Autoren wie J.K. Rowling, George R.R. Martin und auch schon Shakespeare und viele andere haben sich solcher Elemente bedient: Wahrsagelehrerinnen, die keiner ernst nimmt, wandernde Wälder, die Morgen, die noch nicht gekommen sind. Einer, in dem die Macht stark sein wird …

„Was hat das alles zu bedeuten?“ Eine Frage, die wir Menschen uns gerne stellen.

Während wir mit moderner Fantasy genussvoll diese Lust am Unklaren und Rätselhaften befriedigen, haben solche Weissagungen unseren Vorfahren mitunter wirklich Angst gemacht oder sie dazu gebracht, ihr Leben zu verändern.

Nicht ganz eindeutige Prophezeiungen, deren Interpretation zu Verwirrung und manchmal Selbsterfüllung führen, sind schon seit der Antike ein Thema, das Menschen beschäftigt. So manche griechische Tragödie erzählt davon, wie Menschen Prophezeiungen auszuweichen versuchten und dabei genau in die Falle tappten, der sie zu entkommen hofften.

Während die griechischen Propheten scheinbar die Zukunft vorhersagten, aber meist recht unklar blieben, waren die biblischen Propheten eher damit beauftragt, dem Volk Gottes Wille hervorzusagen – in aller Deutlichkeit. Aber auch in ihren Schriften finden Menschen immer wieder Hinweise auf die Zukunft und interpretieren sie.

Auch von Jesus wird berichtet, dass er sich auf die alten Schriften beruft: Mit seinem Leiden und Sterben, aber auch der Auferstehung „wird alles vollendet werden, was geschrieben ist durch die Propheten von dem Menschensohn.“ (Lk 18,31ff.)

Jesu Lesart des ersten Testamentes war für die Jünger nicht nachvollziehbar. Sie erwarteten eher, dass sein Weg ihn auf den Königsthron in Jerusalem führen würde – und nicht ans Kreuz!

Sie lasen bei Jesaja: „Die Herrschaft ruht auf seiner Schulter; und er heißt Wunder-rat, Gott-held, Ewig-vater, Friede-fürst“ und bei Micha: „Denn er wird zur selben Zeit herrlich werden, soweit die Welt ist.“

Darum erwarteten sie jemanden, der die römischen Besatzer aus dem Land schmeißen würde, der ein unabhängiges Königreich Israel ausrufen würde. Die Anhänger Jesu warteten auf den starken Mann, der ihr Land wieder groß macht. Sie hofften auf einen Messias mit Schwert und Schild, einen, der ihnen voranschreitet.

Jesus sagte seinen Jüngern, dass sich in seinem Geschick die Weissagungen der Propheten erfüllen werden. Aber er hat dabei an andere Bibelstellen gedacht, denn bei Jesaja findet sich auch, dass der Knecht Gottes „verspottet und misshandelt und angespien“ wird, dass er ausgepeitscht werden wird: „Er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen.“, heißt es da.

Mit der Interpretation des ersten Testamentes gilt es sehr sorgsam umzugehen, es ist auch die heilige Schrift des Judentums. Zuviel sollten wir nicht hinein- oder herausgeheimsen.

Das Herumrätseln und wilde Interpretieren, das gehört in die Welt der Fantasy.

Aber dass Jesus, unser Christus, diese Texte erfüllt hat, indem er eben kein Kriegsheld wurde, sondern sich hingegeben hat, das dürfen wir annehmen.