Unsere Kirche ist ein Pokestop
Wie wird eine kleine Kirche Spielort für ein weltweit gespieltes und in Japan entwickeltes Handyspiel? Bevor Pokémon-Go auf den Markt kam, gab es das Spiel Ingress, bei dem die Spieler auch schon mit dem Handy unterwegs sein mussten, um zu bestimmten Orten zu gelangen. Diese Orte sollten Sehenswürdigkeiten und historische Orte sein, aber auch mal öffentliche Gebäude. Das Coole war: Den Standort der Portale haben in der Anfangszeit von Ingress die Spieler selbst durch das Hochladen von Fotos und Ortsangaben bestimmt. Die Spielerfinder haben dieses Datenmaterial dann verarbeitet, gefiltert (keine Portale auf Autobahnkreuzen etc.) und angereichert. Es diente als Grundlage für Pokémon Go.
Ab November 2012 haben Leute angefangen Ingres zu spielen und sie haben zum Beispiel unsere Paul-Gerhardt- Kirche als Sehenswürdigkeit eingestuft und darum als Spielort vorgeschlagen. „Ist ja klar“ möchte man meinen,“ ist ja schließlich eine Kirche“, historischer Ort und so. Aber gemach. Eine mittelalterliche Kirche in der Dortmunder Innenstadt, die Marienkirche, beispielsweise, hat keinen Pokestop abbekommen. Stattdessen ist ein bemalter Stromkasten in der Nähe zu einer Sehenswürdigkeit gekürt worden. Von den japanischen Spielerfindern hat sich niemand die Mühe gemacht im Städtchen Dortmund nachzugucken, was denn da jetzt die wichtigen Sehenswürdigkeiten sind, man hat sich auf die Spieler verlassen. Hier in unserem Viertel wird die Kirche anscheinend von spielenden Leuten als wichtiger Ort wahrgenommen, wichtig genug um ein Ingress-Portal zu werden.
Als ich unsere Gemeindesekretärin fragte, ob sie denn merken würde, dass nun mehr Leute mit Handy in der Hand vor der Kirche stehen bleiben, erzählte sie mir, dass sie gedacht hatte, dass diese Leute nach dem Geocache suchen, der auf unserem Gelände versteckt ist. Ganz schön was los hier. Die Kirche wird wahrgenommen. Als Bauwerk, als historischer Ort, als Denkmal, als Gotteshaus. Und wer sie noch nicht bemerkt hat, wird vielleicht aufmerksam beim Pokémon jagen, beim Geocaching, vielleicht demnächst auf der Jagd nach magischen Kreaturen, diesmal im Harry-Potter-Universum.
Als Pokémon-Go gerade frisch herausgekommen war, waren wir auf der jährlichen Jugendfreizeit in einem kleinen Dorf am Rande des bayrischen Waldes. Drei Arenen, fünf Pokestops, der abendliche Spaziergang mit allen, die Pokémon-Go spielten, um alles abzugehen war Ritual auf dieser Freizeit. Ein Pokestop war vor der evangelischen Kirche. Vor der saßen wir morgens auf Campingstühlen mit der ersten Tasse Kaffee, irgendwer hatte ein Lockmodul gestiftet und alle fingen Pokémon. Bei der Gelegenheit entdeckten unsere Teilnehmer auch die Kirche, fragten, ob sie zu besuchen sei, ganz freiwillig. Ich trieb die Küsterin auf, bekam einfach den Schlüssel und die Jugendlichen konnten die Kirche erkunden, dabei hatte keiner ein Handy in der Hand, die Kirche hatte selbst eine spannende Geschichte zu erzählen.
Für uns Christen sind die Gotteshäuser als Versinnbildlichung wichtig, dass Gott mitten unter uns wohnt. Damit wird es fassbar. Aber Steine und Holz nehmen auch Platz weg und prägen Straßen und Stadtbilder. Umso besser also, wenn hier auch zu nicht gottesdienstlicher Zeit was los ist. Wenn Leute die Bank vor der Kirche nutzen, wenn Leute die Kirche optisch und emotional so sehr warnehmen, dass sie sie in Spielrealitäten mitnehmen möchten.
Vom 4.-7. Juli findet in Dormund das zweite Pokémon-Go-Fest statt. Ich freue mich darauf , und mal gucken, vielleicht finde ich ja ein paar Leute, die für erschöpfte Pokémon-Jäger Kaffee anbieten und die Kirche öffnen, um mal reinzugucken in den Pokestop.
Und wann kommt eigentlich endlich „Wizards Unite“ raus? Ich bin gespannt, was die Kirche in diesem Paralleluniversum sein wird.
NL