Habenichtse

„Sie verkauften Güter und Habe und teilten sie aus unter alle, je nachdem es einer nötig hatte. Und sie waren täglich einmütig beieinander im Tempel und brachen das Brot hier und dort in den Häusern, hielten die Mahlzeiten mit Freude und lauterem Herzen.“ Apg.2,35

Der Roman „Planet der Habenichtse“ (im Original „The Dispossessed“) von Ursula K. Le Guin aus dem Jahre 1974 wird bei Wikipedia als Utopie kategorisiert. Es ist ein Science-fiction-Roman der von dem Wissenschaftler Shevek handelt, der eine wichtige Entdeckung gemacht hat.
Auf Sheveks Heimatplaneten wird eine Gesellschaftsform gelebt, die die Autorin als „idealistischen Anarchismus“ bezeichnet.
Sie erklärt das so: „das moral-praktische Thema ist die Kooperation, die Solidarität und die gegenseitige Hilfe“.
Auf Sheveks Heimatplaneten Anarres gibt es de facto keinen Privatbesitz. Keine eigene Wohnung, kein eigenes Fahrzeug, kein Geschirrservice, keine Spielekonsole, keine Bücher, nichts gehört dem Einzelnen. Selbst die Sprache ist so entwickelt worden, dass es keinen Ausdruck für mein und dein gibt. Statt zu sagen: „Das ist mein Bleistift.“ sagt man „Das ist der Bleistift, den ich benutze.“.
Le Guin beschreibt aber auch, dass selbst in einer scheinbar idealen Gesellschaftsform, in der alles miteinander geteilt wird, der einzelne Mensch für sich ein Stückchen Macht gewinnen kann, als Lehrer oder Verwaltungsmitarbeiter (Ist es wirklich der Computer, der für alle die ideale Arbeitsstelle aussucht?) und so anderen Menschen das Leben schwerer machen kann.
Obwohl Anarres seinen Bewohnern obendrein harte Arbeit abverlangt um sich zu ernähren und Kultur und Freizeit oft zu kurz kommen, spürt man, dass dies ein utopischer Ort ist.
Ich mag dieses Buch sehr, weil die Hauptfigur Shevek so wunderbar selbstverständlich mit dem „nichts besitzen“ umgeht. Le Guin hat mich mit meinem eigenen Konsumverhalten, meinem eigenen ständigen Verlangen nach Neuem konfrontiert.
Die Vorstellung, „meine“ Aquarellpinsel abends einfach in einer gemeinsamen Werkstatt liegen zu lassen und am nächsten Tag vielleicht ganz andere Pinsel zu erwischen, ist für mich nicht positiv utopisch. Ich mag es, dass „die Pinsel, die ich benutze“ meine Pinsel sind. Sanft wird mir der Spiegel vorgehalten, so dass ich das zumindest einmal hinterfrage und benenne.
Immer wieder haben Menschen versucht, zu einer Lebensweise wie „vor dem Sündenfall“ zurückzukehren, alles zu teilen, Privatbesitz auszuschließen. Immer wieder misslingt das, wenn eine Bewegung zu groß wird. So ist es auch den frühen Christen gegangen, die irgendwann zu hierarchischen Strukturen gefunden haben und sich in einer Welt mit Besitzern und Habenichtsen eingerichtet haben. Aber zwischen der totalen Aufgabe von Privatbesitz und unserem Leben in den westlich geprägten Ländern heute ist ein weites Feld.
In Zeiten von Artensterben, Ressourcenausbeuten weit über die Nachhaltigkeitsgrenze und globaler Erwärmung ist es sicher an der Zeit, sehr genau zu überlegen, was wir eigentlich wirklich persönlich brauchen um uns erfüllt zu fühlen und was wir eigentlich auch teilen könnten.
Können wir das hinkriegen? Jesus hat eine Menge Vertrauen in seine Nachfolger gelegt, als er sie aufgefordert hat zu teilen, sich um einander zu kümmern, die Armen nicht zurückzulassen. Es ist höchste Zeit, dass wir uns das wieder vor Augen halten.
Eine gute Zusammenfassung der Geschichte hat Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Planet_der_Habenichtse
Wer den Roman lesen möchte, kann ihn gebraucht für ca. 15 Euro erwerben. Das Exemplar, in dem ich lese, bleibt erst mal noch hier, ich muss es wohl noch ein paar Mal lesen ehe ich es abgeben kann.

Natascha

PS: Es gibt eine Neuübersetzung, Pölle machte mich drarauf aufmerksam:

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